„Königstour“ 2006
Sonntag, 13.08.2006
Auf 5.20 Uhr habe ich meinen Wecker gestellt. Alles schläft noch und ich bemühe mich, so leise wie möglich zu sein. Ein Blick nach draußen. Trotz dicker Wolken ist alles trocken. Welch ein Glück…
Bei Regen wäre mir die Entscheidung wesentlich schwerer gefallen. Aber so kann ich es wirklich riskieren. Frühstück habe ich gestern abend schon vorbereitet, gepackt ist auch alles, so dass ich tatsächlich 06.03 auf dem Rad sitze und losrolle.
Ich fahre mit dem Rennrad, denn diese Entfernungen sind an einem Tag zeitlich mit dem Crossrad kaum möglich. Zudem ist mein Crossrad wesentlich schwerer und demzufolge wäre auch der Kräfteverschleiß viel höher, das heißt auch das Risiko größer, vorzeitig abzubrechen.
Der Wind weht nicht so perfekt aus Nordwesten wie in der letzten Woche. Es ist ein etwas lästiger Kantenwind und zudem stelle ich nach einigen Kilometern schon fest, dass ich körperlich nicht so gut drauf zu sein scheine, wie am letzten Wochenende. Aber schau’n mer mal.
Ich fahre über Wolfshain, Erdmannshain, nach Naunhof. Das ist die kürzeste Strecke. Von Südwesten heran werden die Wolken leider immer dunkler und tatsächlich ist es in Großsteinberg so weit, die ersten Regentropfen fallen.
Also anhalten, Wetterhose und Wetterjacke überstreifen, um nicht schon nach kurzer Zeit völlig durchnässt zu sein. Auch meine Neopren-Gamaschen ziehe ich über die Schuhe.
Dann weiter, den Wolken entgegen, Pomßen, Otterwisch… Bad Lausick, ich habe ein wenig zu kämpfen, ist es noch die Müdigkeit, denn in der letzten Nacht habe ich auch nicht so entspannt schlafen können oder hat das andere Ursachen?
Die Aussicht auf die Regenwolken, die sich in meiner Fahrtrichtung zusammen ballen, trägt sicher wesentlich dazu bei, doch noch umgehe ich diese. Zumindest bis Geithain und Narsdorf. Ca. 50 Kilometer habe ich zurückgelegt, als es dann ernsthaft zu regnen beginnt.
Auf die Dauer wird das nun immer unangenehmer. Besserung ist nicht in Sicht, die Wolken sind finster, ziehen tief, der Wind weht nun fast entgegen, als ich auf der B175 in Richtung Waldenburg fahre. Und vom Asphalt spritzt das Wasser hoch, so dass auch die Neoprenüberzüge nicht viel nützen.
Waldenburg im Muldetal, es regnet immer noch, allmählich fange ich an, mir Gedanken zu machen, ob ich das Ganze nicht doch lieber abbrechen soll. Es ist zwar erst 8.45 Uhr und ich habe sogar einen anderen Rennradfahrer entgegen kommen sehen, aber ich halte das nicht aus, den ganzen Tag bei diesem Sauwetter auf dem Rad zu sitzen.
Weiter geht es nun bergauf, Callenberg, ich überquere den ersten Höhenzug, auf welchem die Autobahn Dresden – Chemnitz – Eisenach verläuft. Kurz nach der Brücke zweigt die Straße nach Sankt Egidien ab. Es folgt eine rasche Abfahrt von der Anhöhe nach Sankt Egidien, dann wieder über einen Höhenzug nach Lichtenstein. Plötzlich sehe ich von den Hügeln aus blauen Himmel im Südwesten. Die finstere Regenfront lockert auf, es folgen Quellwolken, die Sicht wird immer besser.
Und nun gibt es keine Frage mehr. Auch wenn es aus Lichtenstein, wo ich kurz nach dem Weg nach Hartenstein fragen muss, sehr kräftig zur Alberthöhe auf 415 Meter ansteigt.
Aber im gewohnten raschen Tritt und in kleinen Gängen ist das kein Problem. Hartenstein umgehe ich nun auf der neuen Straße weiträumig, es geht immer noch bergauf, bis auf 526 Meter. Von hier oben bietet sich ein schöner erster Blick auf den nicht mehr fernen Auersberg. Erst kurz vor Aue folgt eine rasante Abfahrt, bei der ich leider die gewonnenen Höhenmeter fast alle wieder einbüße.
Aue liegt tief und geschützt im Muldetal. Bevor ich aber die Stadt erreiche muss ich an einer großen Brückenbaustelle umkehren, meine Hoffnung, überall mit dem Rad durchzukommen erfüllt sich hier nicht, die Brücke ist noch nicht fertig. Aber ein gewaltiges Bauwerk ist das schon.
Also zurück, durch Alberoda hinab nach Aue.
Und auf dem Markt vis a vis vom „Blauen Engel“ mache ich nun, 11.10 Uhr nach 116 Kilometer eine erste größere Rast. Bis hierher ist es schon weiter und die zurückliegenden Höhen haben auch mehr Kräfte beansprucht als ich vermutete. Nach der Radwanderkarte war ich der Meinung, zumindest bis Aue fast ohne Anstiege auszukommen. Falsch gedacht… Und das ist schlecht… Denn nun wird es ja erst richtig ernst.
Aue liegt 350 Meter hoch, bis zum Auersberggipfel sind es ca. 700 Höhenmeter! Nach einer reichlichen Viertelstunde fahre ich weiter. Nun führt eine schöne Straße durch das Muldetal immer angenehm leicht bergauf. Die Sonne scheint, es ist wirklich wunderbar hier und zu meiner Freude sind die nächsten 16 Kilometer bis Blauenthal recht entspannend, ja sogar ein Genuss. Der Wald, der Fluss, die ruhige Straße…
Aber die Ruhe rührt von der Baustelle bei Blauenthal her, dort ist keine Durchfahrt möglich, auch ich muss bei dem Schlamm ein paar Meter schieben.
Und dann der Stich nach Eibenstock hinauf. Ich habe den erwartet, befürchtet… Und nun in der Wirklichkeit ist er wirklich extrem kräftezehrend, ich komme nur sehr langsam vorwärts, aufwärts. Die Steigung scheint enorm. Also muss ich in Eibenstock noch einmal eine Rast auf den Stufen der Post einschieben, trinken, trinken und mich für die weitere Strecke motivieren.
Die Straße nach Wildenthal ist wieder recht gut befahrbar, weil nur leicht aber andauernd ansteigend. Und im herrlich gelegenen Wildenthal muss ich unbedingt noch ein Foto von der Hammerschänke machen, wo wir 2005 eine tolle Unterkunft hatten. Die Landschaft hier im Westerzgebirge ist für mich schon fast eine zweite Heimat. Ich liebe diese weiten Wälder rund um Wildenthal und den Auersberg.
Aber diese Liebe wird nun, bei der heftigen Steigung zur Sauschwemme hinauf, die ich nur mit kleinen Verschnaufpausen bewältige, auf eine harte Probe gestellt. Von der Sauschwemme zum Auersberg wird das Sträßchen immer steiler, an mir vorbei rasen zwei Rennradfahrer bergab. Und irgendwann auf dem steilsten Stück schaffe es selbst im kleinsten Gang nicht mehr und muss nun doch schieben. Und auch das kostet einigen Schweiß.
13.54 stehe ich nach 146,53 Kilometern oben auf dem Auersberg, 1019 Meter.
Viele Leute, viele Wanderer, wenige Mountain Biker, mit Rennrad bin ich der Einzige und vermutlich auch derjenige mit dem längsten Anfahrtsweg.
Ich beanspruche am Turm eine ganze Bank, um mich auszuruhen. Das Regenerieren erfolgt rascher als gedacht, nur die Klamotten sind nass geschwitzt, die Schuhe sind durch und meine Beine etwas schwer. Und am Kiosk drückt mir die freundliche Verkäuferin einen Flyer vom 3-Talsperrenmarathon, der im September stattfindet, in die Hand.
Aber das Schönste ist dann die Einkehr im Berggasthof und die Schwamme-supp nebst zwei großen Radlern. Bei dieser Atmosphäre und dieser immer wieder tollen Aussicht hat sich die Strapaze bisher einfach gelohnt. Meine Zuversicht steigt nach der Anstrengung des letzten Aufstiegs wieder zunehmend, nicht sehr weit entfernt sind Fichtelberg und Keilberg zu erkennen. Ich muss das hier einfach noch eine ganze Weile genießen. So schön wird es nicht wieder. Der Auersberg von Zweenfurth aus mit Rad!!!
Erst 14.50 Uhr schlüpfe ich wieder in mein feuchtes kaltes Trikot und die Jacke und rolle nun sehr schnell abwärts zur Sauschwemme. Von dort bis Johanngeorgenstadt ist noch ein Pass von 980 Metern zu meistern, obwohl es bereits in den Beinen zieht, schaffe ich den aber gleichmäßig tretend ganz gut.
Dann folgt aber die Schussfahrt hinab ins Tal. Das geht so schnell, dass ich im Fahrtwind zu frieren beginne. Und natürlich verliere ich wieder eine Menge an Höhe. Weiter im Tal nach Potucky. Dort großes Menschengetümmel. Die ganzen deutschen Tagestouristen, welche auf dem Vietnamesenmarkt nach Schnäppchen haschen, treffen sich hier. Da falle ich mit dem Rad jetzt total auf. Und bezeichnend ist auch die Reaktion des älteren tschechischen Ehepaars, welches meinen Fahrradcomputer, der abgefallen ist aufhebt, auf mein „Danke“… Das „Ah Nemec…“, klingt nicht so freundlich. Na ja…
Durch ein schönes bewaldetes Bachtal schlängelt sich eine kleine holprige Straße nach Ryzovna hinauf. Allmählich nur, aber ich benötige doch immer wieder kleine Pausen und halte ab und zu an. Aber die Sonne scheint, das Wetter hält sich gut. Ryzovna, Myslivny – Jägerdörfl, und dann Bozi Dar. Fichtelberg und Keilberg habe ich schon seit einiger Zeit gesichtet, der Blick zum Auersberg zurück ist auch schön.
Und bei einem Blick auf die Karte entscheide ich mich, nicht hinüber zum Fichtelberg zu fahren, sondern den Höchsten des Erzgebirges, den Keilberg, heute zu „erfahren“.
Oder vielleicht alle Drei??? Nein, Quatsch, das bedeutet einen Umweg, die Zeit wird knapp und außerdem werden meine Kräfte nicht mehr reichen. Das spüre ich nun auch, als ich mich, nachdem ich endlich die Autokolonne, welche sich wieder nach Deutschland hinüber wälzt, hinter mir gelassen habe und die kleine Straße zum Keilberg empor keuche. Die Sicht wird wieder wunderbar, ich befinde mich nun schon ein ganzes Stück weit über der moorigen Hochfläche, auf der Bozi Dar liegt, im Westen ist der Auersberg zu sehen, im Süden der Abbruch des Erzgebirges in die nordböhmische Tiefebene, im Norden der Fichtelberg…
Ein Abzweig, „Klinovec 1 km“, die Steigung nimmt zu, doch das ist kein Vergleich mit dem Auersberg. Einige Kurven, dann Häuser…
Klinovec, Keilberg… 16.57, 178,91 Kilometer! Ich stehe oben. Es ist zu Ende.
Na gut, noch nicht ganz. Irgendwie muss ich heute ja auch noch bis Chemnitz kommen. Und ich habe eine Stunde Verspätung. Hier oben ist alles sehr verfallen und verwahrlost, nur der Sendeturm wird in Ordnung gehalten. Ein kräftiger Wind weht, es ist recht kalt. Aber die Aussicht, im Südosten grüßen die Vulkankegel des Böhmischen Mittelgebirges, im Norden tief unter mir Bärenstein und Pöhlberg, gegenüber der Fichtelberg.
Ich dehne die Rast bis 17.15 Uhr aus, länger ist schlecht, denn bis Chemnitz plane ich nun noch weit über zwei Stunden. Ich schätze so an die 50 bis 60 Kilometer, die noch vor mir liegen. Allerdings geht es jetzt fast bis Zschopau nur bergab. Ich fahre die kleine Straße bis zum Abzweig an der Grenze, biege dann aber in Richtung Vejprty ab, auf dieser Straße wird weniger Autoverkehr sein als auf der deutschen Seite.
Und das ist auch tatsächlich so. Sehr schnell geht es nun hinab, ich friere wieder, der Wind ist eisig, links unten Oberwiesenthal, Hammerunterwiesenthal, ich fahre parallel zur B95, bin nur durch ein paar Wiesen und einen Bach davon getrennt.
Und doch ist das hier eine ganz andere Welt. Cesky Hamry…
Schön sind die vielen Ebereschen an den Straßenrändern, in denen rot die Vogelbeeren glühen. Ein Blick zum Abschied zurück zum Keilberg, dann bin ich rasch in Vejprty, durchquere den Ort, muss meinen Ausweis an der Grenze vorzeigen, die tschechischen Grenzer betrachten fachmännisch mein Rad und sind vermutlich erstaunt, was der Verrückte hier oben mit einem Rennrad macht. Bärenstein, Deutschland…
Weiter abwärts, ohne Pause, ich nehme die Route durch das Pöhlbachtal, umgehe östlich den Pöhlberg, Königswalde liegt an der Strecke, rolle immer weiter abwärts und komme schließlich an der Mündung des Pöhlbachs in die Zschopau in Thermalbad Wiesenbad heraus.
Für die 36 Kilometer habe ich jetzt nur 1:09:32 Std. benötigt, das entspricht einem Schnitt von 31,08 km/h. Aber das ist keine Kunst bei dieser Strecke. Kurz vor Wolkenstein, ich fahre den holprigen Wanderweg am Zschopauufer entlang, die Gegend ist mir nun von unseren Pfingstausflügen wohl bekannt, schicke ich eine SMS an Dagi. Ich schaffe es nicht, wie angekündigt, bis 19 Uhr in Chemnitz zu sein.
Hoch oben thront über dem Tal die Burg Wolkenstein. Ich sitze im Bushäuschen und schlinge noch ein Steineckchen hinein. Reserven für die letzten Kilometer. Dann geht es weiter, Zschopautalstraße bis Scharfenstein, oben die Burg, dann bis Wilischthal… Es dämmert im Tal, dort wo die Straße durch Wald führt, habe ich schon ein recht unsicheres Gefühl. Aber ich habe keine Lampen mit, das war nicht eingeplant, dass ich so lange brauche. Nach dem Abzweig in Wilischthal folgt der letzte Aufstieg heute. Noch einmal geht es auf 480 Meter hinauf, es geht durch einige Ortsteile der Gemeinde Amtsberg, endlose Dörfer, ich muss auch hier wieder einige kleine Päuschen machen, dazu donnert und blitzt es plötzlich.
Verdammt, das Gewitter, erwischt mich tatsächlich noch! Und das hier oben auf der Anhöhe. Warten hat aber trotz des Regens, der nun einsetzt, auch keinen Sinn, es wird immer dunkler. Nur ein paar Minuten sitze ich unter einer mächtigen Linde. Dann nutze ich das Abflauen des Regens dazu, um so schnell wie möglich hinunter nach Einsiedel zu kommen.
Zwönitztal!!! Nun kann nichts mehr passieren. Diesen Abschnitt kenne ich schon vom letzten Wochenende. Die Straße verläuft angenehm im Tal, an der Zwönitz entlang, Einsiedel, es wird langsam finster, es regnet, ich bin völlig durchnässt, Erfenschlag, ein Schild „Chemnitz“.
Zum Jubeln habe ich keine Lust, aber erleichternd ist es schon! Nun noch die letzten Straßen in Chemnitz, ohne Licht, hoffentlich hält mich die Polizei nicht an. Die Autofahrer registrieren mich sicherlich trotzdem im Licht der Straßenlampen. Die Ulmenstraße der Kaßberg, das letzte Hindernis!
Aber auch das schaffe ich nun noch ohne abzusteigen.
20.44, ich bin da. Die Tour ist zu Ende.
254,55 Kilometer stehen auf dem Zähler! So weit bin ich noch nie auf dem Rad an einem Tag gefahren. Der Höhenmesser zeigt ca. 3080 Höhenmeter an. Das ist tatsächlich eine ganz andere Dimension als auf den bisherigen Touren. 11 Stunden und 11 Minuten habe ich im Sattel gesessen.
Und mir geht es gut! Ich spüre zwar die Beine, bin auch viel müder als in der letzten Woche, aber mir geht es einfach gut! Erstaunlich, ich bin nicht so fertig, wie nach der Görlitz- oder der Harztour. Liegt das an meiner derzeitigen Form? Am Wetter? Am Ablauf dieser Tour? Ich weiß es nicht…
Gesamthöhenmeter: 3080 m
Gesamtstrecke: 254,55 km
Durchschnittsgeschwindigkeit: 22,76 km/h
Gesamtfahrtzeit: 11:11 Std.