Geplant hatte ich die ungefähre Route bereits einige Wochen vorher. Durch den langen Winter und die fehlenden Trainingskilometer war ich aber sehr unsicher, was ich mir selbst zutrauen könnte und wie lange ich durchhalten würde. Deshalb sollte der erste Marathon 2009 wieder eine flache Tour sein.
Und da ich schon immer mal in Richtung Potsdam „vorstoßen“ wollte, Potsdam selbst aber zu weit bei auch vorgesehener Rückfahrt sein würde und ich auch eine anstrengende Großstadtdurchfahrt vermeiden wollte, fiel meine Wahl auf Caputh vor den Toren Potsdams.
Weiterhin war nun unsicher, ob ich, um die Strecke zu verkürzen, auf dem Hinweg die Bundesstraße B2 nehmen könnte oder doch lieber auf ruhigere Nebenstraßen ausweichen müsste. Das würde aber wiederum 20 Kilometer mehr bedeuten. Aber am Karfreitag würde ja sicher auch die Bundesstraße recht leer sein. Abbruchmöglichkeiten hätte ich auf jeden Fall in Wittenberg und auf dem Rückweg in Dessau, Bitterfeld und Delitzsch.
Also würde ich einfach sehen…
Zwingen müsste ich mich auf jeden Fall wieder zu meinem 2-stündigen Rhythmus, denn dieser hatte sich im letzten Jahr als das Erfolgsrezept bewährt. D.h. ich müsste unbedingt, unabhängig von der zurück gelegten Strecke, aller 2 Stunden Pausen einlegen und ausreichend essen und trinken.
Da die letzten Marathons aber nun schon eine Weile zurück lagen, war ich also schon sehr gespannt, wie sich diese erste große Tour (auch als Vorbereitung, als heißer Test auf den eine Woche später stattfindenden Spreewald-Marathon) fahren lassen würde.
Freitag, 10.04.2009
Halb fünf Weckzeit… Ein wenig Schmerz muss dabei sein und als ich ziemlich müde endlich im Bad stehe, wird mir schon bewusst, dass das Ganze wieder ein ziemlicher Unsinn ist. Warum nicht am Feiertag im warmen Bett noch eine Weile schlafen und dann in Ruhe an diesem sonnigen Morgen mit den Kindern frühstücken…
Na ja, vorbereitet habe ich alles gestern schon, Stress habe ich also nicht, kann in Ruhe etwas essen, ehe ich 5.21 Uhr aufbreche. Draußen ist es noch dunkel, zur Überbrückung der „langweiligen“ Phase bis zum Hellwerden höre ich Bruce Springsteen vom MP3-Player. Vor der Feuerwehr in unserem Dörfchen stehen noch die Jugendlichen, die in den Karfreitag hinein gefeiert haben, die haben anscheinend gar nicht geschlafen…
Kräfte sparen, einteilen, ist nun meine erste Devise. Ich habe zwar eine ungefähre Längenschätzung, wenn ich in Dessau aufhören würde, hätte ich genug Zeit heute und würde auf ca. 250 km kommen. Aber ein erneuter Dreihunderter lockt natürlich auch… Na mal sehen.
Panitzsch, Taucha, die kleinen Wellen und Hügel im Schongang, Liemehna, dort biege ich nach Osten ab, will die Strecke optimieren und komme aber nun leider über Kospa zu weit hinüber bis Eilenburg. Von dort nun streng nach Norden, Hohenprießnitz, hier mache ich schöne Sonnenaufgangsfotos, dann gegen 7 Uhr erreiche ich nach ca. 38 Kilometern Bad Düben.
Über die Mulde, durch das schlafende Städtchen hindurch, dann gen Wittenberg, welches nun 35 Kilometer entfernt ist. Die B2 ist ruhig, nur wenige Autos fahren hier. Also kann ich zumindest bis Wittenberg auf dieser Straße bleiben. Nun geht es quer durch die Dübener Heide. Kurz vor dem höchsten Punkt, vor dem Heide-Höhenweg mache ich am Luther-Stein die erste Pause. Frühstück. (7.30 Uhr – 7.45 Uhr, 51,72 km, 2:02:52 Std.)
Danach im Auf und Ab durch die weiten Wälder ehe ich kurz vor Kemberg ziemlich weit bergab rolle. Ein einsamer Rennradler kam mir entgegen, grüßend. Bei Kemberg liegt die Heide, liegen die ersten Höhenzüge hinter mir, hier kam ich auf meinem ersten Marathon 2007 durch, bis Wittenberg ist es nun nicht mehr weit, wenige Kilometer später sehe ich schon in der Ferne die Bögen der neuen großen Elbebrücke.
Pratau, eine riesig dimensionierte Straßenführung für die Elbquerung, daneben ein guter Radweg auf die Brücke (dort Fotos) hinauf und hinein in die Stadt.
8.35 Uhr fahre ich durch Wittenberg (77 km) und das Schild „Potsdam, 68 Kilometer“ gibt mir Kraft. Das ist doch keine Entfernung mehr…
Hinter Wittenberg aber steigt die Straße allmählich in den Fläming an. Also wieder effektiv, langsam kurbeln, nicht überziehen, die Zeit spielt keine Rolle, Durchhalten ist das Ziel. Wieder weite Wälder, Marzahna, hier kam ich vor genau einem Jahr durch, Baustelle… Aber mit dem Fahrrad kommt man (fast) überall durch. Der Wind weht zunehmend von Ost, also leicht von rechts vorn. Nur nicht übertrieben dagegen ankämpfen, dann eher langsamer angehen. Kurz vor Treuenbrietzen, entlang der Straße führt ein wunderbarer glatter Radweg, mache ich die zweite Pause im Wald. (9.45 Uhr – 10.00 Uhr, 103,72 km, 4:01:49 Std.) Ich habe trotz des Kantenwindes einen recht guten Schnitt. Treuenbrietzen scheint ebenfalls noch zu schlafen. Oder ist es hier immer so still? Bis Beelitz ist es nun auch nicht mehr weit, der Radweg ist vorzüglich, völlig unbehelligt vom Autoverkehr kann man so wirklich gut fahren. Beelitz muss ich nun durchqueren, ehe ich wieder den Radweg entlang der B2 erreiche, dann weiter nach Michendorf. Mir kommen nun etliche Rennradler entgegen, die sind aber vermutlich alle hier irgendwo um Potsdam zu Hause.
Kurz vor Michendorf unterquere ich den Berliner Ring. Alles perfekt, alles in Ordnung, die Beine sind ok. Und auch der Wind ist auszuhalten, weil es lange Strecken durch Wald geht. Nun hinter Michendorf das Schild nach Caputh. Nur noch 4 Kilometer, dann bergab zum Schwielowsee. Caputh…
Ohne Probleme finde ich das Sommerhaus von Einstein, mache dort ein paar Fotos, ehe ich dann ein Stück am See entlang schön nach Südwesten gen Ferch fahre und an einer Eisenbahnbrücke an der Havel Mittagspause mache. (11.40 Uhr – 12.10 Uhr, 146,13 km, 5:41:00)
Viele Spaziergänger und Radler sind hier am See und am Fluss unterwegs, die Sonne strahlt, der Himmel ist blau und wolkenlos, schön warm ist es. Kurzer Anruf nach Hause, alles ist in Ordnung. Luxuriöse Motorboote tuckern gemächlich auf dem Wasser an mir vorüber… Keine schlechte Wohngegend ist das hier. Aber eigentlich ist das fast schon zu exklusiv.
Nun würde ich eigentlich gern über Ferch nach Michendorf und von dort nach Beelitz, Brück kommen wollen, ich weiß nämlich nicht, was mich auf dem ER1 erwartet. Aber als ich am See entlang weiter fahre, gibt es da keinen akzeptablen Weg, also muss ich wohl oder über bis zu der Stelle, wo der ER1 die Straße kreuzt. Aber das, was ich da sehe, bringt Optimismus und Freude. Eine asphaltierte Fahrradstraße erwartet mich. Quer durch die endlosen Wälder südlich von Potsdam.
Abgesehen von kleinen Unebenheiten, wenn Baumwurzeln den Asphalt angehoben haben, rollt es auch hier vorzüglich. Ich spüre nun zwar an jedem Anstieg die Beine, muss herunter schalten, aber mit der richtigen Einteilung könnte ich heute noch ein ganzes Stück weit kommen.
Aber warm ist es, trinken muss ich viel, die 3,5 Liter, die ich mitgenommen habe, werden vielleicht nicht ganz reichen. Wieder überquere ich den Berliner Ring, dann ein paarmal die A9, ehe es nach Südwesten fast parallel zur A9 nach Brück weiter geht. Also der ER1 ist eine Reise wert. 20 Kilometer Fahrradstraße durch den Wald, das ist wirklich bemerkenswert!
Brück, der Wald bleibt zurück. Wärme, Durst, ich muss kurz halten, trinken. Dann weiter nach Süden bis Niemegk, stille Straßen quer durch die Pampa, kleine vergessene Dörfchen… Niemegk, hier war ich ebenfalls vor genau einem Jahr, nur dass ich heute ohne Umwege direkt nach Süden will. In einem Bushäuschen in Neuendorf bei Niemegk die nächste Pause. (14.25 Uhr – 14.40 Uhr, 201,54 km, 7:48:45) Nicht schlecht, wieder einmal 200 Kilometer unter 8 Stunden.
Aber nun wird es doch immer mühseliger. Ich muss wieder über den Fläming, lange sanft ansteigende Straße nach Klein Marzehns, aber irgendwann geht es auch hier wieder bergab. Ich will in Coswig die Elbfähre nehmen, die Route so weit es geht abkürzen und via Gräfenhainichen nach Bitterfeld kommen und von dort aus auf bekannten Straßen nach Hause.
Nach Coswig hinab geht es nun schnell… Rasch erreiche ich das Städtchen, suche die Fähre… Aber nix ist… „Fähre außer Betrieb“ steht da auf einem Schild.
Haben die hier nicht mal eine funktionierende Fähre?! Das ist schon wie ein kleiner GAU für mich. Was nun?! Weiter nach Wittenberg, 20 Kilometer gegen den Wind, dann auf der Strecke von heute morgen zurück? Aber da muss ich wieder die Höhenzüge der Dübener Heide überqueren. Das wäre heftig. Oder hinüber nach Roßlau, reichlich 10 Kilometer mit Rückenwind, dann Dessau und dann zum Bahnhof?
Ich entscheide mich für Richtung Dessau. An einer Tankstelle aber halte ich noch einmal an und erstehe bei der erstaunt guckenden Verkäuferin eine große Coca Cola. Und ähnlich wie im letzten Jahr auf der Ostseetour verleiht mir das süße klebrige Zeug scheinbar Flügel. Es ist ein ungeheurer Schub, den ich plötzlich bekomme, mit einem über 30er Schnitt fahre ich nach der Pause nun auf dem großen Kettenblatt bis Roßlau hinüber. Einfach Klasse…
Dann fluche ich in Roßlau und weiter in Dessau über die unzumutbaren, sich in katastrophalem Zustand befindenden Radwege und bin ca. 16.45 in Dessau. Nun stehen über 250 Kilometer auf dem Fahrradcomputer. Höre ich hier auf? Ich bin eine Stunde später als im letzten Jahr, noch habe ich 70 Kilometer vor mir. Soll ich abbrechen?
Aber es rollt doch eigentlich gut. Auch wenn die Beine müde geworden sind. Aber in Bitterfeld kann ich ja auch noch abbrechen, wenn gar nichts mehr geht… Und außerdem erwarten mich flache bekannte Abschnitte entlang der Mulde. Also weiter, dieses Mal fahre ich allerdings westlich der Mulde auf direkter Route nach Raguhn, mache noch einmal eine Pause an der A9 (17.10 Uhr – 17.25 Uhr, 261,60 km, 10:06 Std.), ehe es weiter geht.
Die Urwälder an der Mittleren Elbe, Raguhn, dann Jeßnitz und nun aber wirklich vertrautes Land… Muldenstein, der Hügel hinauf zum Muldestausee, kein Problem, Friedersdorf, dann Radweg am Ufer des Goitzschesees… Der kurze heftige Stich, selbst den schaffe ich ohne absteigen zu müssen noch…
Pouch, Gegenwind bis Löbnitz, Trinkpause… Erschöpfung. War es nicht doch zuviel des Guten?
Reibitz, Badrina, Gollmenz, Wölkau, Kupsal, kurze Trinkpause, Ausruhen, dann gemächlich weiter… Mutschlena, Taucha, die Hügelchen gehen eigentlich noch unerwartet gut…
Die Sonne versinkt langsam am Horizont. Es wird kühler, es ist ja erst April. Es dämmert…
Panitzsch, der letzte kleine Anstieg, dann Borsdorf.
Ich bin wieder einmal zu Hause. Es ist 20.25 Uhr.
„Lebt denn der alte Radfahrer noch, Radfahrer noch? Ja er lebt noch!!!“
Und ich bin nicht so fertig, dass es nicht noch weiter gehen könnte, aber zum Radfahren habe ich heute einfach keine Lust mehr.
Meine kleine Krise, die ich bei den ersten Dreihundertern nach ca. 280 Kilometern hatte, spürte ich heute gar nicht so ausgeprägt, es war da mehr diese Schlaffheit, das Gefühl, doch etwas ausgebrannt zu sein. Aber nächste Woche ist ja der Spreewaldmarathon…
Da muss es wieder gehen!
(329,36 km, 12:58 Std.)