Harztour 2010
Geplant hatte ich ursprünglich die Umsetzung meines jahrelangen Traums, einmal über den Jeschken zu radeln. Dann wurden aber die Wetterprognosen immer schlechter, so dass ich mich für eine flachere Nordböhmentour ins Kokorinsko entschied. Denn Schnee auf dem Jeschken wollte ich auch nicht unbedingt erleben. Und nun waren für diesen Freitag im Südosten Deutschlands und Böhmen Dauerregen und Kälte angesagt. Unangenehm…
Was tun?
Am Himmelfahrtstag nach der ausgedehnten „Vatertags“-Runde mit Holger plante ich ganz kurzfristig am Abend, noch als Klamts bei uns waren, eine Havarievariante. Im Westen, Nordwesten sollte es voraussichtlich am längsten trocken bleiben. Die Temperaturen waren mir im Prinzip schon egal. Man gewöhnt sich auch daran, dass der Winter scheinbar kein Ende nimmt…
Einen Harz-Marathon hatte ich vor Jahren auch schon einmal durchgeplant. Und mit diesem Gedanken als Grundlage entwickelte ich nun eine neue Tour. Mit dem Zug würde ich bis Sangerhausen fahren, dann den Harz überqueren und zurück bis nach Hause radeln. Bis Halle wäre das alles kein Problem, das Risiko wäre die Stadtdurchfahrt in Halle und dann die ca. 30 Kilometer hinüber bis nach Rackwitz.
Mit der Fahrkarte war ich flexibel, ich hatte ja am Mittwoch ein Sachsenticket gekauft.
Freitag, 14.05.2010
4 Uhr holt mich das hässliche Weckerpiepsen aus meinem kurzen Schlaf. Aber das Aufstehen gelingt recht gut. Schnell das Notebook eingeschaltet, wetteronline.de angeklickt und einen Blick auf die blauen Flecken des Regenradars in Deutschlands Südosten geworfen. Keine Frage, es blieb mir nur die Möglichkeit, in den Harz zu fahren, dort war es noch trocken.
Vorbereitet war alles schon, 5.15 Uhr Fahrt mit der Regionalbahn nach Leipzig, dort in den Zug nach Halle/Saale umsteigen. Als ich der Schaffnerin gelassen mein Sachsen-Ticket hinhalte, guckt die nur kurz und meint, das wäre nicht gültig. Erst ab 9 Uhr. So ein Mist! Stimmt, heute ist ja kein Wochenende und kein Feiertag. Das habe ich völlig übersehen. In meinem Frust, dass die nicht mit sich verhandeln lässt, das ist offensichtlich bei weiblichen Schaffern (weshalb eigentlich, Männer sind da viel toleranter) fast immer so, bezahle ich die 40 EUR gleich in bar, persönliche Daten bekommt die von mir nicht. Ein vom Männertag noch halb Betrunkener meint, ich solle mich deswegen nicht hinunter ziehen lassen. Recht hat er, auch wenn es ärgerlich ist, will ich mir trotzdem diesen Tag nicht verderben lassen.
Im Zug nach Sangerhausen kommt nun ausgerechnet kein Schaffner. Klasse, so vertreibt die Bahn ihre Kunden!
Draußen trübes Wetter, dunkle, regenschwere Wolken. Aber als ich in Sangerhausen 7.30 aussteige, nieselt es nur ein paar Tröpfchen. Nur richtig hell wird es leider nicht.
7.40 Uhr rolle ich an der Bundesstraße auf einem guten Radweg in Richtung Westen. Im trüben Dunst ist der Höhenzug mit dem Kyffhäuser-Denkmal zu sehen. Doch dorthin will ich heute nicht. Kaum zu glauben, dass es schon wieder 4 Jahre her ist, als ich da oben mit dem Rad entlang fuhr.
Mit einem moderaten Tempo geht es ganz gut, rechts Rapsfelder, Ausläufer des Südharzes, links und vor mir die weite Talebene der Goldenen Aue. Wallhausen, Roßla, Berga, die Straße verläuft parallel zur neuen A38, deswegen ist sie zu meinem Glück wenig befahren. In Berga, bekannte Strecke von 2006, nach ca. 24 Kilometern biege ich nun nach Norden in das Tyra-Tal ab. Rottleberode, das erste Harzstädtchen mit Fachwerkhäusern nach 7 Kilometern, der Wind weht von Nordwest, aber noch bin ich frisch, das macht mir nicht viel. Ich hatte befürchtet, dass mir die 130 km-Tour von gestern noch mehr in den Knochen stecken würde, aber auch das ist halb so schlimm.
Nun steigt die Straße allmählich an, wird kurvenreicher, führt durch den Wald. Neben mir die rauschende Tyra. Ein schönes Tal, 2006 waren hier 30°C Hitze, heute sind es gerade 6°C, weiter oben dann nur noch 4°C.
Stolberg. Wunderbar in das enge Waldtal eingebettet, uralte Fachwerkhäuser oben auf dem Berg die Burg, aufs Schönste restauriert, ein sehr sehenswerter Ort. Es ist 3/4 9, noch ist alles ruhig hier, auch hier wieder eine Erinnerung an 2006, als ich hier in Gluthitze im Straßencafe zu einem Radler einkehrte.
Nun in kleinen Gängen mit 14 – 17 km/h weiter aufwärts. Die Steigung ist zwar lang, aber recht angenehm, gleichmäßig, nie zu steil, maximal 8%. Aber ich muss mich ja nicht fertig machen. Noch liegen ca. 170 km vor mir. Auf ca. 500 Metern Höhe, hier sind 4°C, der Wind ist eisig, erreiche ich Breitenstein, es geht ein Stück hinab, dann wieder hinauf nach Friedrichshöhe. Dort mache ich gegen 9.45 Uhr die erste Rast. Ungefähr 50 Kilometer habe ich hinter mir, die größten Anstiege vermutlich auch. Die mittlere Harz ist hier nicht viel höher. Die neue Fahrradjacke ist absolut winddicht, schützt gut gegen die Kälte, aber leider hat sie auch eine gewisse Treibhauswirkung, alles, was ich darunter trage, ist ziemlich feucht. Nachdem ich einem Motorradfahrer den Weg zur Autobahn erklärt habe, geht es nun weiter. Schussfahrt hinab ins Selketal, dann Güntersberge und wieder hinauf. Und noch ein Stück hinauf und noch ein kleines Stückchen.
Friedrichsbrunn, ich glaube, als Kind war ich mit meinen Eltern zum letzten Mal hier, das mögen über 35 Jahre her sein. Langgestreckt zieht sich der Ort entlang der Straße, die ein ganzes Stück in eine Senke hinabführt, ehe sie dann mit 8-10% (!), die kurbele ich noch recht gelassen hoch, auf 578 Meter, dem höchsten Punkt heute, ansteigt. Aber nun geht es bergab. Zum Glück ist die Straße trocken. Ohne treten zu müssen rolle ich nun mit 30-40 km/h 7 Kilometer lang bergab nach Bad Suderode. Nur in den Kurven muss ich vorsichtshalber etwas abbremsen. Eine traumhafte Abfahrt. Das hat sich gelohnt. Bad Suderode – Kurortatmosphäre, gleich darauf Gernrode – der Hauch der Geschichte. Die Beine sind nun ein wenig schwer bei jedem kleinen Anstieg aber den Umweg zur Cyriakuskirche, der über 1000-jährigen gotischen Stiftskirche, gönne ich mir. Fotos und Anruf bei Dagi, alles ist ok, ich bin sozusagen auf dem Rückweg. Ca. 75 km habe ich bewältigt. Der Harz liegt hinter mir.
Weiter nun, der Wind weht angenehm von hinten, nach Ballenstedt, ich bin recht zügig unterwegs. An der Straße die Roseburg, die sieht sehr romantisch aus, aber mir ist kalt, ich will voran kommen, so halte ich hier nicht an.
Ballenstedt, mit Navi kein Problem, weiter nun nach Ermsleben und Hettstedt. Die Höhen des Harzes verflachen zusehend, machen der eigentümlichen Landschaft, dem Mansfelder Land mit seinen kleinen, teilweise recht tiefen Tälchen Platz. Der einzige Lichtblick ist der Raps in voller Blüte. Man könnte denken, die Sonne scheint, aber leider… Wenigstens weht der Wind supergünstig. Nächste Rast gegen 12 Uhr bei Walbeck, nach ungefähr 95 Kilometern.
Hettstedt ist weit und breit nicht zu sehen. Das muss doch hier irgendwo sein. Ist es auch, als ich schließlich von der befahrenen Bundesstraße den Hinweisschildern ins Zentrum folge, taucht es plötzlich auf. Ringsum ist offensichtlich ebenes Land, dann aber ein tief eingeschnittenes Tal und dort unten liegt Hettstedt. Weiter von hier wieder steil hinaus auf das Plateau stracks nach Osten nach Gerbstedt. Mit Rückenwind ist auch jetzt nach ca. 115 Kilometern immer noch locker ein 30er Schnitt drin. Und von Gerbstedt dann rolle ich endgültig bergab zur Saale. Friedeburg, ist das da etwas wie Sonne, was durch die Wolken blinzelt?
Das Saaletal ist herrlich, blühende Obstbäume, Rapsfelder, topfeben, der mäandrierende, gemächlich dahin strömende Fluss. Einige Kilometer weiter auf der östlichen Talseite Wettin. Die Burg stolz über dem Ort. Das Geschlecht der Wettiner – Markgrafen, Kurfürsten und Könige haben die hervorgebracht.
Salzmünde, leider muss ich auch hier mal wieder auf eine stark befahrene Straße wechseln, Lettin, wieder etwas ruhiger, es beginnt nun leider zu regnen. Halle, das Chaos beginnt. Eine fahrradunfreundlichere Stadt habe ich in dieser Größenordnung noch nicht kennen gelernt. Sofern es Radwege gibt, sind diese in erbärmlichem Zustand, geeignet für Mountainbikes. Mit „Armin“ gelingt es mir im dicken Verkehr und auf schmalen nassen Straßen zur Saale zu kommen. Burg Giebichenstein, wo ich gern halten wollte, würdige ich bei dem Stress kaum eines Blickes. Und es wird noch schlimmer. Kopfsteinpflaster, regennass, glitschig, kaum Platz zwischen Bordkante und Straßenbahnschienen. Als Radfahrer in Halle muss man sehr hart im Nehmen sein und auf jeden Fall gehört man damit hier zu den Lebensmüden. Ich kann mich einmal mit den Beinen gerade noch fluchend abfangen. Unverhofft stehe ich irgendwann hinter der großen Kirche am Markt. Regen, Menschengewühl, Marktbuden, ich steige ab, schiebe nun durch die Fußgängerzone in Richtung Bahnhof. Über 150 Kilometer sind absolviert. Vom Bahnhof weiter in Richtung Osten, ein Stück Radweg, das geht gerade so, Baustelle, Straßenseite wechseln, Radweg katastrophal, Baustelle, Seite wechseln, noch schlimmerer Radweg, aber was will ich machen?! Auf der Straße zwischen den Autos ist kein Platz für mich. Und dann geschieht es doch, glitschige Pflastersteine, das Rad rutscht mir in eine Fuge, dann liege ich auf dem Boden. In der Hose ein Loch, Knie nur ein wenig angeschabt, Rad zum großen Glück noch ganz. Ich glaube, die leichte Acht im Hinterrad hatte ich schon lange.
Wütend rappele ich mich auf. Ich muss weiter, raus aus diesem Nest. Wie ich auch schon dachte, ist auch der weitere Weg kein Vergnügen. Die Stadt habe ich nun hinter mir, aber die Straße ist stark befahren, LKWs, schnell fahrende PKWs, unangenehm, auch nach der A14, Queis (kurze Rast 14.30 nach 170 km), Wiedemar und dann hinter der A9 wird das nicht ruhiger. So bin ich froh, als ich diese Straße bei Grebehna verlassen kann. Der Betonplattenweg zwischen Gerbisdorf und dem Schladitzer See ist zwar auch nicht viel herzerfrischender, aber hier kommt man sich weniger gehetzt vor. Schladitzer See, beim LVZ-Fahrradfest sind wir hier entlang gerollt. Da war es noch warm. Und jetzt ist es trübe, es regnet, Novemberwetter im Mai. Schrecklich…
Der See liegt schön, allmählich wachsen auch die Ufer zu, das ist hier keine schlechte Gegend. Rackwitz, Göbschelwitz, es riecht nach Heimat. Hohenheida, Merkwitz, hier sind es nun wieder einmal 200. Taucha, Panitzsch, ich fahre auf dem Partheweg entlang, verkehrsberuhigt, unbeeinträchtigt von zu schnellen Autos.
17.35 Uhr bin ich zu Hause.
210,92 km in 8:38:30 Std. Das ist recht langsam, aber es war ja auch ein Gebirge dabei.
1350 Höhenmeter.
Und es regnet und regnet.